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Sebastians Garten

Nach vielen Jahren perspektivlos im ephemerischen Grossstadtdschungel herumirrend, entschloss ich mich, ohne jegliche Gartenerfahrung eine kleine Parzelle „Grün“ zu pachten. Ich fing schnell damit an, jeden Millimeter der rund 300 qm grossen Fläche (heute knapp 700 qm) zu erkunden.

Wildpflanzen, Insekten, Amphibien, welchen dieser Garten als Lebensraum diente und die für mich plötzlich sichtbaren ökologischen Zusammenhänge, weckten sofort mein Interesse und bewegten mich dazu, massenhaft Fachliteratur zu verschlingen, botanische Wanderungen zu tätigen und mich auch aus beruflicher Sicht in diese Richtung zu entwickeln. Ab dann war mir klar, dass es kein Zurück mehr gibt. Meine Wissbegierde war geboren und die Leidenschaft wuchs stetig.

Für jedes Fleckchen ein Kraut

Jahrelang beobachtete ich das stille Geschehen im Garten und stellte mit der Zeit fest, dass Gelassenheit gepaart mit der Erkenntnis, dass es ein grosses Ganzes gibt sowie die Wertschätzung jedem noch so kleinen Lebewesen gegenüber die besten Ratgeber zum erfolgreichen Gärtnern sind. Natürlich ist ein gewisses Spektrum an Fachwissen unabdingbar, jedoch sollte man nicht vergessen, immer wieder mal seine Seele baumeln zu lassen und dies wortwörtlich.

So schlendere ich auch heute noch wie am ersten Tag durch meinen Garten und komme z.B. aus gärtnerischer Sicht zur Erkenntnis ,,dass für jedes Fleckchen Erde ein Kraut gewachsen ist“…

Die Entwicklung und der Charakter

Wie fast jede Kleingartenparzelle wurde auch mein Garten vor der Übernahme jahrzehntelang intensiv bewirtschaftet. Pestizide, synthetische Düngemittel und schonungslose Bodenbearbeitung hatten ihre Spuren hinterlassen. So fand ich ein überstrapaziertes Erdreich vor, bei dem sich erst über die Jahre wieder ein Gleichgewicht einstellte. Durch Mulchen, bepflanzen, Gründüngung und sich selbst überlassen, verbesserte sich allmählich die Bodenstruktur, Belüftung und der Humusanteil.

Im ersten Jahr war der Garten noch ziemlich strukturarm. Bis auf Holunder, eine falsch gepflegte Asch-Weide und die junge Reineclaude war eine einzige zusammenhängende Ackerflächen vorhanden. Ich begann, diverse Obstgehölze, Beeren und Wildsträucher und andere strauchige Gewächse zu Pflanzen. Dadurch entstanden diverse „Gartenräume“ mit eigenen Mikroklimas. Ich bereicherte das ebene Gelände mit Hügeln und Vertiefungen. Meine Stadtoase nahm Formen an.

Spezifisches Mikroklima als Vorteil

Was ich zudem anfänglich als erschwerende Herausforderung empfand, nämlich der nach Norden ausgerichtete Standort am Waldrand, die eher feuchten Bodenbedingungen, tiefere Jahrestemperaturen und weniger Sonnenstunden im Winter, zeigte sich für mich mit der Zeit als Chance bei der Pflanzenwahl und Pflege. Ein spezielles Mikroklima bot sich mir.

Durch den Käferbergwald oberhalb der Kleingartensiedlung, Wohnhäusern rundherum und vielen Heckenelementen sowie Gehölzgruppen, ist die Gartenfläche vor der Winterbise und Hitzeperioden, im Sommer gut geschützt. Durch das kühlere Mikroklima zwischen Winter und Frühling treiben die Pflanzen später aus und sind daher weniger gefährdet, aufgrund von Spätfrösten Schaden zu nehmen. Kleinere Schneemengen bleiben länger liegen und schützen die krautige Vegetation vor Kahlfrost. Der Wasserverbrauch während den Sommermonaten beschränkt sich durch die Lage, Bodenbedingungen und die üppige Bepflanzung auf ein Minimum.

Naturalistisch anmutende Gartenlandschaft

Die Waldnähe und meine schonende Art zu Gärtnern sorgte dafür, dass die dort ansässige Flora von alleine ihren Weg in den Garten fand. Auch deshalb eignete ich mir die Pflanzenbestimmung im Sämlingsstadium an. Dies durfte ich über viele Jahre vertiefen.

Daraus entstand eine sich sukzessiv entwickelnde und naturalistisch anmutende Gartenlandschaft aus Kulturpflanzen und Spontanvegetation. Eine Mixtur aus Gelassenheit, Vertrauen und selektiven Eingriffen. Jedes Jahr auf’s Neue hüllt sich der Garten in ein jungfräuliches Kleid.

Inspiration

In meinem Garten treffen viele Strömungen der Gartenkultur aufeinander. Inspiriert wurde ich besonders durch englische Gärten mit ihren Mixed Borders, Obstgärten nach dem Prinzip der Permakultur, fernöstliche Gartenanlagen und den klassischen Bauerngärten. Meine grösste Muse war jedoch Mutter Natur.

Durch unzählige Wanderungen lernte ich natürliche Pflanzengesellschaften kennen, zu verstehen und im Endeffekt in meinem Garten zu adaptieren. Aufgrund von diesen Erkenntnissen war ich nun auch fähig, Wildpflanzen in meinem Garten zu fördern und optimale Lebensbedingungen zu schaffen. Ich strebte nie nach starren arbeitsaufwändigen Konzepten und die Vergötterung von irgendwelchen „Gartenguru’s“ widerstrebt mir. Die Mischung aus ganz vielen unterschiedlichen Richtungen, meiner Handschrift und eine grosse Prise Dynamik, d.h. natürliche Prozesse zulassen, ist für mich stimmig.

Aus diesem Grund fing die Vielfalt an krautigen Pflanzen über die Jahre stetig an zu wachsen.

Vielfalt

Plötzlich waren sie da!

Ich war total aus dem Häuschen als ich eines Frühlings zarte gefingerte Blätter aus der Erde spriessend, entdeckte. Es handelte sich um die Vielblättrige Zahnwurz (Cardamine kitaibelii), welche ich von Wanderungen im Zürcher Oberland kannte. Bis zum heutigen Zeitpunkt kann ich mir diese Zuwanderung nicht erklären, da das nächstgelegene Verbreitungsgebiet weit entfernt liegt. Auch der Echte Wundklee (Anthyllis vulneraria), Echter Baldrian (Valeriana officinalis), Wald-Ziest (Stachys sylvatica), Wilde Karde (Dipsacus fullonum), die Wiesen-Platterbse (Lathyrus pratensis), Echtes Mädesüss (Filipendula ulmaria), Blutweiderich (Lythrum salicaria), Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis), der Gewöhnliche Gilbweiderich (lysimachia vulgaris) und die Gewöhnliche Nachtviole (Hesperis matronalis) beschlossen von alleine einzuwandern. Diese Arten sorgten dafür das sich die Insektenvielfalt in kürzester Zeit vervielfachte. Von dieser Entwicklung war ich derart motiviert, dass ich anfing weitere Wildarten zu pflanzen.

Mit der Gewöhnlichen Kratzdistel (Cirsium vulgare) entdeckte ich meine Leidenschaft für die distelartigen Gewächse innerhalb der Asteraceen (Korbblütler). Sie war auch die erste Wildpflanze welche ich beabsichtigt in den Garten brachte. Während der Blütezeit lockt sie Heerscharen von Wildbienen, Wespen, Hummeln und Käfern. Dieses Naturschauspiel und die imposante und zugleich wehrhafte Gestalt, veranlasste mich weitere Disteln anzusiedeln. So kamen die Nickende Distel (Carduus nutans), Eselsdisteln (Onopordum), die Sumpf-Kratzdistel (Cirsium palustre), Bergdistel (Carduus defloratus), die Graue Kratzdistel (Cirsium canum), die Knollige Kratzdistel (Cirsium tuberosum), Kohl-Kratzdistel (Cirsium oleraceum) und selbst die in Ungnade gefallene Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense), bald nach.

Obwohl sich im Garten viele heimische Arten befinden, beschränkt sich meine Leidenschaft für Pflanzen nicht nur auf die Hiesigen. Eine Vielfalt, die Schuppenköpfe (Cephalaria) aus Südosteuropa, diverse fremdländische Storchschnabelarten-Arten (Geranium), Königskerzen (Verbascum), Witwenblumen (Knautia) und Skabiosen (Scabiosa), sowie alpine Arten bis hin zu südafrikanischen und südamerikanischen Stauden umfasst. So kommt es, dass sich z.B. ein etablierter Teppich vom Gänsefingerkraut (Potentilla anserina) zärtlich an eine Taglilie (Hemerocallis) schmiegt.

Die Vielfalt zeigt sich bei mir nicht nur durch eine diverse Flora, sondern auch aufgrund von unterschiedlichen Lebensbereichen, Kleinstrukturen und natürlich durch die vielen kriechenden, hüpfenden und fliegenden Lebewesen, welche von den geschaffenen und sich entwickelnden Lebensräumen, profitieren.

Sebastian Wagener

Gärtner, Pflanzplaner & Berater, Naturmensch, Enfant terrible, Autor

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