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Die Schokoladenseite einer „Plage“

Ursprünglich besiedelte die Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense) Trockenstandorte in der Nähe von Wäldern. Durch die intensive Landwirtschaft und der Schaffung vergleichbarer Lebensräume durch den Menschen, wurde die Art zum Apophyten. Man geht davon aus, dass nach den ersten Waldrodungen vor 7000 Jahren, die Acker-Kratzdistel ihren Siegeszug in Richtung Kulturland aufnahm.

Das Kleine Fünffleck-Widderchen (Zygaena viciae) tankt Nektar auf der Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense). © Silvio Meyer

Seit jeher wird diese Distel wegen ihrer wüchsigen unterirdischen Ausläufer, den bis zu 3 Meter tiefen Wurzeln und der stacheligen, sowie aufsässigen Natur, von Landwirten und Gärtnern bekämpft, mit Herbiziden oder auf mechanische Weise.

Da die Samen der Acker-Kratzdistel nur an geeigneten Standorten keimen, vermehrt sie sich hauptsächlich vegetativ. Es reichen bereits kleine Wurzelstücke, um einen neuen Bestand zu bilden. Mittlerweile dringt Cirsium arvense vermehrt in sensible Ökosysteme vor und wird auch in Naturschützerkreisen als Problempflanze gewertet. Aus meiner Sicht ist die „invasive“ Ausbreitung der Acker-Kratzdistel lediglich ein Symptom, oder besser gesagt, eine Antwort. Ein ökologisches Ungleichgewicht infolge Lebensraumzerstörung, Isolation resp. genetischer Verarmung sensibler Arten, Klimaerwärmung und einseitiger Naturschutzpflege, bietet dominanten Arten einen optimalen Nährboden. Die Acker-Kratzdistel ist definitiv eine Gewinnerin dieser Veränderungen!

Ein ökologisches Wunderwerk

Flatterhafte Wesen

Nebst dem, dass die Acker-Kratzdistel als gefürchtetes „Ackerunkraut“ bezeichnet wird, besitzt sie eine wichtige ökologische Bedeutung für Insekten. So gilt sie für über 50 Falterarten als Nektar- oder Raupenfutterpflanze. Während ihrer Blütezeit von Juli bis Oktober, gehören Schmetterlinge wie Distelfalter (Vanessa cardui), Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus), Dickkopffalter-Arten (Hesperiidae), Brauner Waldvogel (Aphantopus hyperantus), Widderchen (Zygaena), Kleiner Fuchs (Aglais urticae), Kaisermantel (Argynnis paphia), Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni) und viele weitere prachtvolle Arten zu regelmässigen Besuchern. Bei den Tagfaltern dient Cirsium arvense lediglich dem Distelfalter als Raupenfutterpflanze, die restlichen Arten, welche als Raupe nutzniessen, sind Nachtfalter.

Die Raupe des Distelfalters (Vanessa cardui) frisst sich satt. © Silvio Meyer

Die Anderen

Es sind nicht nur die flatterhaften Sommervögel, die an der Acker-Kratzdistel Gefallen finden. Darüber hinaus beobachtet man schlürfende Wanzen, lauernde Spinnen, aparte Zikaden, emsige Wildbienen und brummende Hummeln an den Blüten, auf Blättern und Stängeln.

Eine Rote Maskenbiene (Hylaeus variegatus) sammelt Pollen. Bildquelle: Entomologie/Botanik, ETH Zürich / Fotograf: Albert Krebs

Cirsium arvense im Hausgarten oder auf dem Balkon?

Wen man sich von seinem Sommerflieder verabschieden möchte, jedoch auf keinen Fall die vielen Schmetterlinge missen will, dann ist der Griff zur Acker-Kratzdistel empfehlenswert. Mit ihrem unzähmbaren Wesen ist die Art jedoch eher eine Option für naturnahe Gärten. Ein verwildertes und sonniges „Randplätzchen“ mit ebenso wüchsigen Nachbarn ist prädestiniert. Für formalere Gärten und Balkone steht einer Topfkultur nichts im Weg. Aber Achtung! Das Gefäss sollte ausreichend tief sein und auch dann kann man nicht ausschliessen, dass diese Distel durch Öffnungen ihre Freiheit wittert.

Stattliche Königskerzen (Verbascum) und die Geissraute (Galega x hartlandii ‚Lady Wilson‘) weisen die Acker-Kratzdistel in ihre Schranken. © Sebastian Wagener
Sommerliche Momentaufnahme am Wildstandort. © Silvio Meyer

Sebastian Wagener

Gärtner, Pflanzplaner & Berater, Naturmensch, Enfant terrible, Autor

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